Forum: Zeiterfahrung: Mischa Meier: Die Justinianische Pest – im Spiegel der Covid-19-Pandemie betrachtet, in: H-Soz-Kult, 27.11.2020, online in: https://www.hsozkult.de/debate/id/diskussionen-5077 (Stand: 14.12.2020).
Ausgehend von der Grundanahme, dass durch das Erleben der Covid-19-Pandemie die eigenen Untersuchungsgegenstände einem neuem framing unterliegen, betrachtet der Autor des Artikels die Justinianische Pest anhand von vier spätantiken Texten und mit Hilfe eines theoretischen Modells des Tübinger Sonderforschungsbereichs 923 „Bedrohte Ordnungen“. Dabei geht es ihm um die Frage, wie sich durch das eigenen Erleben einer Pandemie die Sichtweise auf das historische Material verändert hat. Es steht dabei weniger eine Analyse im Vordergrund, sondern das „Einsammeln von Eindrücken“, die sich aus dem neuen framing ergeben haben.
Zitat aus dem Fazit:
„Es ging mir nicht so sehr darum, oberflächliche Parallelen zwischen der Covid-19-Pandemie und der Justinianischen Pest aufzuweisen, sondern letztere im Lichte der ersteren zu betrachten und dadurch Aspekte herauszuarbeiten, die in der bisherigen Forschung eine eher marginale Rolle gespielt haben, um dabei aufzuweisen: Das neue framing unseres Zugriffs auf die spätantike Pandemie aus der Perspektive eigener Erfahrungen birgt analytisches Potential. Die Kategorisierung beider Pandemien als Bedrohte Ordnungen eröffnet dabei einen Bezugsrahmen, der die Einordnung einzelner Beobachtungen erleichtert und gleichzeitig einer rein subjektiven Lesart vorbeugt. Dabei zeigt sich, dass wir die Zeugnisse zukünftig weniger innerhalb ihrer literarischen Traditionen und Gattungskonventionen betrachten, sondern in ihrem Eigenwert ernster nehmen und stärker aus jenen für Bedrohte Ordnungen charakteristischen Kommunikations- und Handlungslogiken heraus interpretieren sollten, wie sie auch in der aktuellen Situation hervortreten. Und nicht zuletzt sollte deutlich geworden sein, dass die Relativierung der Justinianischen Pest, wie sie von den Autoren des eingangs zusammengefassten „Washington Post“-Artikels gefordert wird, wohl in die Irre führt. Sie spiegelt ein letztes Mal die Perspektive der Zeit vor Covid-19. Für die zukünftige Pandemien-Historiographie ist, soviel lässt sich schon jetzt konstatieren, mit dem Frühjahr 2020 ein neues Zeitalter angebrochen, das seine eigenen, aus dem Covid-19-framing erwachsenen methodischen Zugriffe und Narrative entwickeln wird.“